Gedanken über politischen Mut am Beispiel Resi Huber
Rede von Florian von Brunn anlässlich der Benennung des Platzes an der Brudermühl-, Impler- und Thalkirchnerstrasse in Sendling nach der Antifaschistin, Zeitzeugin und Kommunistin Resi Huber
Sendling, 13. Dezember 2012
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielleicht erinnern Sie sich: Vor einigen Jahren wollte Otto Beisheim, der Gründer des Metro-Konzerns, dem Gymnasium Tegernsee 10 Millionen Euro spenden. Dafür sollte die Schule seinen Namen tragen.
Viele Bürger in Tegernsee und Umgebung hielten dies für eine gute Idee, auch dann noch, als dank kritischer Schüler und Eltern öffentlich bekannt wurde, dass Beisheim sich mit 17 Jahren – offensichtlich freiwillig - zur Waffen-SS, und dort zur ideologischen Elitetruppe des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges, der „Leibstandarte Adolf Hitler“, gemeldet hatte.
Der damalige Miesbacher Landrat sagte: “Das Schlimme ist ja, dass man Beisheim völlig Unrecht tut. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war er gerade 15 Jahre alt. Und später, als 18-jähriger Soldat, bekleidete er nur den untersten Dienstgrad.“ „Zu den Gesetzen der Waffen-SS gehörte: Gefangene werden nicht gemacht, Partisanen werden sofort erschossen, alle Juden sind Partisanen, folglich werden alle Juden sofort erschossen.“, so der Historiker Wolfgang Benz.
Otto Beisheim blieb bis zum Kriegsende Mitglied der SS. 1945 war er 21 Jahre alt.
Resi Huber war 21 Jahre alt, als sie anfing, in der Plantage des Konzentrationslagers Dachau zu arbeiten. Sie kam aus einer Arbeiterfamilie: Viele in ihrer Familie und im Bekanntenkreis, im Arbeitersportverein Dachau, in dem sie Mitglied war, waren in der SPD oder in der KPD aktiv.
Im Rückblick erinnerte sie sich ganz genau, wie sich ihr Umfeld in Dachau verhielt, als die Nazis 1933 an die Macht kamen. Sie sah, wer sich arrangierte, wer sich öffentlich zu Hitler bekannt und wer Widerstand leistete. Sie nahm war, was im Konzentrationslager Dachau passierte. Resi Huber hat die Häftlinge, die sie dort kennenlernte, als Menschen behandelt und ist ihnen, ungeachtet ihrer Lage, immer mit Respekt gegenüber getreten. Sie begann, Post aus dem Lager nach draußen zu schmuggeln und Inhaftierte mit Essen zu versorgen.
Sie besaß einen moralischen Kompass, der den Weg wies, und den großen Mut, diesen Weg konsequent zu gehen. Sie tat das trotz aller Warnungen und obwohl sie wusste, dass sie dafür bestraft, ja sogar mit dem Schlimmsten rechnen musste.
Heiner Geissler hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung etwas Bemerkenswertes gesagt: „Die Gleichstellung von Nationalsozialismus und Kommunismus als totalitäre Philosophien ist auf den ersten Blick richtig, aber in der Substanz falsch. […] Rein gedanklich kann ich mir einen humanen Sozialismus vorstellen, auch wenn er bislang niemals zustande kam. Ein humaner Nationalsozialismus ist unvorstellbar - das wäre ein Widerspruch in sich!“
Resi Huber war Zeit ihres Lebens eine überzeugte und engagierte Kämpferin gegen Nationalsozialismus und Faschismus. Sie war zudem Kommunistin und Pazifistin, engagiert in KPD und DKP. Und auch das, und das sage ich ausdrücklich so, war mutig. Zumal in Adenauer-Deutschland im Kalten Krieg, in dem der Satz von Thomas Mann über die Sowjetunion schnell vergessen war: „Wenn nichts anderes mir Achtung für sie geböte, so wäre es ihre unveränderliche Gegenstellung zum Faschismus.“
Antisemit durfte man nach 1945 in Deutschland offiziell nicht mehr sein. Aber der Antibolschewismus, den Nazis, konservative Eliten und bürgerliche Kreise teilten, war statthaft. Ein ideologischer Antikommunismus und das Verdrängen und Vertuschen der Nazi-Verbrechen waren zwei Seiten derselben Medaille.
Dafür finden sich viele Beispiele: Bereits 1950 fasste die Bundesregierung einen Beschluss über die „politische Betätigung von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Grundordnung“. Er richtete sich unter anderem gegen die KPD und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN). Der Beschluss führte bereits damals zu Berufsverboten und erleichterte durch die Schaffung von Präzedenzfällen Kündigungen auch in der privaten Wirtschaft.
Mit der anderen Seite ging man milder um: Als der Bundestag 1951 darüber diskutierte, dass zwei Drittel der leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes ehemalige Mitglieder der NSDAP waren, rief Konrad Adenauer aus, man müsse „jetzt mit der Naziriecherei einmal Schluss machen“!
Resi Huber engagierte sich auch in der Friedensbewegung. Das war für sie die Konsequenz aus dem von Nazi-Deutschland entfesselten Weltkriegs, der ihren Bruder das Leben gekostet hatte. Aber Pazifisten hatten es, zumal in der Zeit der Wiederbewaffnung und in den Jahren danach, nicht leicht. Sie wurden kollektiv als Parteigänger des Ostblocks diskriminiert.
Während der ehemalige Nazi-Feldmarschall Kesselring, verantwortlich für das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen, bei dem 335 italienische Zivilisten, ermordet wurden, im Jahr 1955 mit dem erneut gegründeten „Stahlhelm“, einer „Frontkämpferorganisation“ in Goslar eine Kundgebung abhalten durfte, wurden sieben Mitglieder des „Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschland“ 1960 wegen „Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung“ zu Gefängnisstrafen verurteilt. Sie hatten sich, obwohl nicht nur Kommunisten, sondern auch Sozialdemokraten und Parteifreie, nach Meinung der Anklage, als Mitglieder der „kommunistischen (sic!) Friedensbewegung“ schuldig gemacht.
Ein weiteres Beispiel: 1963 wurde der ehemalige kommunistische Widerstandskämpfer Willi Meyer-Buer, der bis zum KPD-Verbot von 1956 auch Mitglied der Bremer Bürgerschaft war, wegen Verstoßes gegen das Parteiverbot, zum zweiten Mal, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er hatte sich 1961 als unabhängiger Einzelkandidat um ein Bundestagsmandat bemüht und eine Wahlrede mit den Worten beendet: „Wählen Sie den Kommunisten Meyer-Buer!“. Die übliche Folge dieses Urteils war auch die Aberkennung seiner Wiedergutmachungsansprüche aus der in der Nazi-Zeit erlittenen Zuchthaus- und KZ-Haft. Glück im Unglück für ihn war, dass die zuständige Landesbehörde die Frist für die Streichung seiner Rente versäumte.
Das Leitmotiv aus einem aggressiven Antikommunismus und einer fragwürdigen Toleranz gegenüber alten und neuen Nazis taucht immer wieder auf in der Geschichte der Bundesrepublik. Noch 1976 rief ein sichtlich getroffener Herbert Wehner im Bundestag aus: „Wissen Sie […], dass ich Kommunist gewesen bin, habe ich nie geleugnet. Ich werde es mein Leben lang büßen, dank derer, die patentierte Christen sind und sich als solche bezeichnen."
Natürlich waren der Stalinismus und seine Verbrechen, die Unterdrückungspolitik in Osteuropa, der Bau der Mauer und die politischen Verhältnisse im Osten auch Gründe für die scharfe Ablehnung und Bekämpfung des Kommunismus. Niemand wird dies vernünftigerweise bestreiten.
Aber das erklärt nicht, warum die gleichen Menschen, die als erste Opfer waren und als erste mutigen Widerstand gegen Hitler und die Nazis leisteten, deren Abgeordnete im Reichstag nicht mehr gegen das Ermächtigungsgesetz stimmen konnten, weil sie sich auf der Flucht befanden, inhaftiert oder ermordet waren, die die größte Zahl der Opfer unter den Widerständigen stellten, warum diese mutigen Kommunisten schon bald nach Kriegsende diskriminiert, verleumdet und, ja, verfolgt wurden.
Resi Huber rief viele von ihnen in die Erinnerung zurück, durch die Entdeckung und Publikation der „Wiedergefundene Liste“, in der die Münchner KPD nach 1945 ihre Opfer für die Nachwelt verzeichnet hatte. Auch das ist ein großer Verdienst von ihr.
Viele Opfer der nationalsozialistischen Diktatur und Widerstandskämpfer, die sich in KPD oder in der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes engagierten, wurden Opfer von Berufsverboten oder erlitten - bis in die jüngste Zeit - Diskriminierung durch den Verfassungsschutz: so wie Ernst Grube, Holocaust-Überlebender und engagierter Zeitzeuge.
Während der Verfassungsschutz im Fall der rechtsradikalen Mörder von der NSU versagte, werden engagierte Nazi-Gegnern intensiv beobachtet und öffentlich unter den Verdacht mangelnder Verfassungstreue gestellt.
Das stellt die Legitimation dieser Behörde zu Recht in Frage und führt zu der Überlegung, wer besser und mutiger die Verfassung schützt. Es sind, davon bin ich überzeugt, engagierte DemokratInnen und NazigegnerInnen, wie Resi Huber eine war.